Wer im NS-Staat aus dem Gefängnis entlassen wird, muss damit rechnen, gleich wieder in ein KZ eingewiesen zu werden. Man nennt dies „Vorbeuge-“ oder „Schutzhaft“. Dagegen gibt es keinerlei juristische Einspruchsmöglichkeit, denn Konzentrationslager unterstehen nicht der Justiz, sondern der Partei und der SS.
Davon betroffen sind z. B. auch die beiden Mörfelder Ludwig Feutner und Karl Hardt. Nach Verbüßung ihrer dreijährigen Haft in Butzbach 1938 werden sie in das KZ Dachau bzw. Buchenwald eingewiesen.
Nach reichlich zweijähriger Haft wird Karl Hardt auf Anordnung der Gestapo Berlin aus dem KZ Buchenwald „probeweise“ entlassen. Er muss sich zukünftig an jedem „3. Werktag auf der Ortspolizeibehörde melden.“
KZ-Häftlinge müssen meist extrem schwer arbeiten. Der Mörfelder Arzt Dr. Weinmann attestiert Karl Hardt noch Jahre später, dass „kein Zweifel besteht“, dass die „erheblichen Verschleißerscheinungen am ganzen Skelettsystem, vor allem der Wirbelsäule und Gelenke sowie die vorzeitige Alterung auf die langjährige Haft zurückzuführen sind.“
Feutner wird am 27. September 1939 mit einer Gruppe von fast 1.000 Häftlingen von Dachau (bei München) in das KZ Flossenbürg überstellt. Er behält weiterhin die Dachauer Häftlingsnummer, wird allerdings nicht – wie die meisten anderen – Anfang März zurückverlegt, sondern am 7. Februar 1940 entlassen.
Links: Die Liste mit den Namen der Häftlinge des KZ Flossenbürg. An 7. Stelle von unten steht Ludwig Feutner; das Kürzel „VH“ hinter seinem Namen bedeutet: „Vorbeugehaft“.
Aber auch wenn die politischen Häftlinge nach Hause zurückkehren, unterliegen sie weiterhin besonderer „Behandlung“. So schreibt der Mörfelder Bürgermeister 1940 nach der Entlassung von Feutner: „Er hat sich wöchentlich (Samstag) einmal bei mir zu melden. Auch hat er eine Erklärung von mir unterschrieben, dass er auf Lebzeiten in das Konzentrationslager zugeführt wird, wenn er sich in politischer Hinsicht etwas zu schulden kommen läßt.“ Ähnliches notiert er bzgl. Ludwig Schulmeyer, als dieser nach 6-jähriger Zuchthaushaft entlassen wird, bei Erich Wilker oder auch bei Wilhelm Scheuermann. Letzterer „wurde von mir in schärfstem Ton auf die heutigen Verhältnisse hingewiesen, andernfalls er eine harte Strafe zu erwarten hätte …“ Während des Krieges wird unter dem Motto „Feind hört mit!“ das System der Überwachung für die gesamte Bevölkerung deutlich verschärft. Kritik an der Kriegsführung ist unter Strafe gestellt. Als der Mörfelder Kaufmann Heinrich Bäthis – der gewiss kein Anhänger der KPD oder der SPD ist – in seinem Laden die Frage stellt, von wem denn eigentlich bei Kriegsbeginn der erste Schuss gefallen sei, wird er von Kundinnen denunziert und schließlich „wegen gehässiger und hetzerischer Äußerungen gegen Partei und Staatsführung“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Bäthis ist damals der offizielle Vertreter des Mörfelder Einzelhandels, zudem Mitglied der NSV und des Luftschutzbundes. Der Mörfelder Bürgermeister nennt ihn nun in offiziellen Schreiben einen „Volksschädling“.
Elisabeth Karl arbeitet während des Krieges in den Frankfurter „Adlerwerken“. Während der Frühstückspause kritisiert sie mehrfach das selbstherrliche Auftreten des hiesigen Bürgermeisters. Auch sie wird denunziert und am 11. Mai 1943 von der Gestapo in Frankfurt verhaftet. In der Anklageschrift wird sie mit folgenden Worten zitiert: „Der Mörfelder Bürgermeister Zwilling (KPD) war wenigstens ein richtiger Bürgermeister, der sich für uns eingesetzt hat.“ Anders als „der Nazikerl, der heute da ist. Der Stromer, der hat die größte Sau und nachts kriegt er noch alles gebracht…“ Sie wird zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Während ihrer Haft im Frauengefängnis in Frankfurt-Höchst muss ihre 8-jährige Tochter in Pflege gegeben werden.
Im März 1942 werden die jüdischen Mörfelder in Konzentrationslager deportiert. Danach nimmt der Druck auf die sogenannten „Halbjuden“ zu. Regelmäßig erstattet der Bürgermeister dazu Bericht. Besonders bedrohlich ist dies für Erich Wilker, der zugleich ein politisch Verfolgter ist.
Häftlingsbaracke im Aschendorfer Moor II.
Die drei Mörfelder Philipp Arndt, Heinrich Hechler und Erich Wilker sind in diesem Strafgefangenenlager inhaftiert. Politische Häftlinge werden dort in den späten 1930er Jahren aus verschiedenen Gefängnissen in ganz Deutschland zusammengezogen. Sie verbüßen in diesem Lager einen Teil ihrer Haftstrafen.